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DIVIDE ET IMPERA -
Phänomenologisches Vagabundieren im Gehäuse der "Theorie des kommunikativen Handelns"
Zur
Logik des theoretischen Diskurses:
WAHRHEIT
J.
Habermas: "Wahrheitstheorien" (1972)*
In diesen Sätzen kündigt sich an, was man die "sprachanalytische Wende" bei Habermas nennen könnte. Im Gegensatz zur älteren "Kritischen Theorie" (Horkheimer, Adorno) ist für Habermas eine Erkenntnis, die aufs Ganze geht (Totalität) nicht akzeptabel. Normative Strukturen folgen seiner Meinung nach einer eigenen Logik, relativ unabhängig von der gesellschaftlichen Produktion. Nur so sind für ihn revolutionäre Prozesse erklärbar. Wären normative Strukturen, somit das kommunikationstheoretisch erschlossene Bewußtsein der Individuen deckungsgleich mit Produktions-, d.h. Systemstrukturen, ließe sich Widerspruch, Revolution nicht begreifen. Normative Systeme setzen Sprache voraus und in der Struktur der menschlichen Rede ist ein Interesse an Mündigkeit bereits hinterlegt. Es steckt darin der "Vorschein" einer Lebensform, die wir "herkömmlicherweise mit den Ideen der Wahrheit, der Freiheit und der Gerechtigkeit zu fassen suchen" (1971, S.139). Es zeigt sich hier, daß Habermas seinem Programm treu bleibt, aber ein neues begriffliches Instrumentarium verwendet. Damit Kommunikation überhaupt funktioniert, setzen wir voraus, daß der Andere ein zurechnungsfähiges Subjekt ist, das weiß was es tut, dies nötigenfalls begründen kann und das seine Ziele intentional vertreten kann. Wir erheben, wie Habermas es ausdrückt, damit vier Geltungsansprüche: den Anspruch auf Verständlichkeit, auf Wahrheit, auf Wahrhaftigkeit und auf Richtigkeit. Tafel der Geltungsansprüche: (1973, S.222)
Im kommunikativen Handeln (Interaktion) werden die Geltungsansprüche naiv unterstellt, in theoretischen oder praktischen Diskursen werden die jeweiligen Geltungsansprüche problematisiert. Im Folgenden steht der theoretische Diskurs und der Geltungsanspruch der Wahrheit im Vordergrund. Der Diskurs zeichnet sich durch die
Virtualisierung von Handlungszwängen, sowie dem Außerkraftsetzen
aller Motive aus. Ausnahmen sind hierbei nur der Zwang,
sich dem besseren Argument zu beugen und das Motiv, einen
rational begründbaren Konsens zu erzielen. Hierin sind
wesentlich Begriffe der "Konsensustheorie der
Wahrheit" angesprochen, die ich später erläutern
werde. Hiermit hängt auch die Bestimmung zusammen, daß
der Diskurs erfahrungsfrei sein sollte. Der Konsens der
Diskursteilnehmer sollte jedoch nicht nur für diese
gelten, sondern auch objektiv gültig sein. Diese
Interaktionsform, frei von verzerrenden Einflüssen,
nennt Habermas ideale Sprechsituation. Kommen wir zum theoretischen Diskurs zurück. Es
mag verwundern, daß er "erfahrungsfrei" sein
soll. Für Habermas kann das Erfahrungssubjekt kein
transzendentalen Ego mehr sein, sondern ein empirisches
Subjekt, das sich entwickelt, indem es Welt bearbeitet
und mit anderen Subjekten interagiert. Erfahrung ist an
"anthropologisch tief sitzende"
Erkenntnisinteressen gebunden. Kognitive Schemata
organisieren den Objektbereich der "Welt der Gegenstände",
vom instrumentellen Erkenntnisinteresse geleitet. Moralische
Schemata organisieren den Objektbereich der "Welt
sprechender Individuen", vom kommunikativen
Erkenntnisinteresse bestimmt. Damit die organisierte
Erfahrung auch formuliert werden kann, bedarf es
sematischer Kategorien, die als propositionaler Gehalt in
Sprechakten auftauchen. Wie kann aber ein interessegeleitete Erfahrung
den Anspruch auf objektiv gültige Wahrheit erheben? Mit Strawson trennt er Tatsachen von
Erfahrungsgegenständen und Ereignissen.
Erfahrungsgegenstände sind das, wovon wir etwas
behaupten, worüber wir etwas aussagen. Mit
Gegenständen mache ich Erfahrungen, sie sind etwas in
der Welt. Vielleicht wäre noch von Interesse, was Habermas zu Gewißheitserlebnissen (z.B. der Gewißheit einer Wahrnehmung) schreibt. Diese sind nicht wahrheitsfähig. Geltungsansprüche unterscheiden sich von Gewißheiten durch ihre Intersubjektivität. Eine Wahrnehmung ist immer nur einem einzelnen Individuum gewiß. Zwar kann diese von anderen Individuen geteilt werden, aber dazu muß das Gewißheitserlebnis ausgesprochen werden und das heißt zugleich, es wird eine Behauptung aufgestellt, deren Geltungsanspruch als problematisierter nur diskursiv eingelöst werden kann. Erfahrungen können Behauptungen stützen, einlösen läßt sich ein Geltungsanspruch nur durch Argumentation. Die methodische Inanspruchnahme von Erfahrung z.B. im Experiment bleibt abhängig von der Interpretation. Wie nun die Einlösung von Geltungsansprüchen
durch Argumentation im Diskurs geschieht, soll in
einer "Logik des Diskurses" beschrieben
werden.
Die Behauptung ( C ) "Das Wasser im Topf dehnt sich aus" wird durch Angabe einer Ursache ( D ) "Das Wasser wird erhitzt" erklärt. Diese Erklärung wird durch Angabe einer Schlußregel ( U ), hier ein Gesetz der Thermodynamik begründet Die Plausibilität oder Triftigkeit ( T ) der Schlußregel wird hier durch Hinweise über die wiederholte Beobachtung des Zusammenhangs von Volumen und Temperatur von Körpern gerechtfertigt ( B ). Triftig ist nun ein Argument, das "möglich" ist, dh. wenn zwischen B und U keine deduktive Beziehung besteht, gleichzeitig B eine "hinreichende Motivation" dafür ist, U für plausibel zu halten. In ähnlicher Form ließe sich die Struktur auch
für den praktischen Diskurs aufzeigen. Ich begnüge mich
hier mit einem zusammenfassenden Schema: Argumentationsstufen
(1973, S.243)
Die konsenserzielende
Kraft des Arguments ist für Habermas durch die Angemessenheit
des begrifflichen Systems, also der in der Argumentation
verwendeten Sprache bestimmt. Alle Teile des Argumentes müssen
derselben Sprache angehören. Das gewählte Sprachsystem
ordnet das rechtfertigungsbedürftige Phänomen einem
bestimmten Gegenstandsbereich zu und bestimmt die
Zuordnung zu entsprechenden Arten von Ursachen oder
Motiven, von Gesetzesannahmen oder Normen. Daraus ist zu
folgern, daß Behauptungen nur innerhalb ihres
Sprachsystems begründungsfähig sind. |
*
Der Text
entstand im Sommersemester 81 in einem Seminar zur TkH
bei Prof.H.Nolte an der RUBochum). |