download als pdf-DateiVortrag zur Eröffnung der Ausstellung von Wolfgang Schwarz
im Kreishaus Osnabrück am 10. Mai 2006

von Rudolf Süsske

Wolfgang Schwarz gehört zu den interessanten Doppel­exis­tenzen, die sowohl Arzt – Facharzt für Neurologie – als auch bildende Künstler sind. Ich hatte die Freude, mit ihm eine zeit­lang in der Abt. für Psychotherapeutische Medizin des Christli­chen Krankenhauses Quakenbrück zusammenzuarbei­ten. Dort fand auch – im Septem­ber vergangenen Jahres – die erste Prä­sentation der Aus­stellung statt. Am Abend der Eröffnung entwickelte sich ein Traum: "Es ist ge­sund …" muss auf Reisen gehen. Der Traum ist Wirklich­keit geworden.

Ihnen nun hier, mit einigen einführenden Worten Wolfgang Schwarz' Installa­tion "Es ist gesund …" vorzustellen, bedeutet für mich – eine Ehre und Her­ausforderung zugleich. Aber ich dachte mir: "es ist gesund, etwas zu wa­gen".

Kunst lässt sich nicht auf den Begriff bringen, man kann sie mit Worten nur umkreisen. Wahrnehmungseindruck und Sprache stehen nicht im Verhältnis eindeutiger Stellvertretung, sondern eher in einem der freien Übersetzung. So will ich Ihnen hier nur meine Gedanken und Assoziationen schildern, eine An­regung, nachher selbst der Augenlust und dem Interpre­tations­spiel zu frönen.

Was sehen wir? – Sechs Metallplatten, deren Schwere von je 48kg ihnen kaum anzusehen ist. Die Leichtigkeit klarer Grund­farben – blau, rot, gelb – suggeriert eine entsprechende Leichtigkeit des Materials. Die aufgeklebten Plastikbuch­staben kommen ebenso leicht daher, könnten einer überdimen­siona­len Spiel­kiste ent­stammen. Auch sie in klaren Grundfarben. Mit der unter­schiedlichen Färbung der Buchstaben entstehen flächige Elemente, Cluster, die zu Inter­pretationen bzw. Assoziationen herausfordern. Damit stehen sie in einer Kon­kurrenz zum möglichen Sinn der Buchstabenrei­hen.

Doch die Buchstaben muss man nicht sofort erkennen. Als ich erstmals die Installation im Halbdunkel sah, drängte sich nur der Eindruck von etwas Mo­saikhaftem auf. Es hätte auch die überdimensional gepixelte Vergrößerung einer Detailaufnahme des menschlichen Gehirns sein können. Sie werden vielleicht etwas ganz anderes assoziieren, das hängt von unseren Seh­erfah­rungen ab. Auch unsere Sehgewohnheiten haben eine Geschichte.

Erst auf den zweiten Blick entdeckte ich die Buchstaben. Dem folgte natür­lich die Frage: Was heißt das denn? Die Worte, den Sinn müssen wir erst entzif­fern. Es gibt keine Leerzeichen. In dieser Differenzerfahrung zu ge­wöhnlichen Texten werden wir gewahr, wie gestalthaft wir Worte wahrneh­men, nicht Buch­stabe für Buchstabe, sondern im Nu. Wechseln die Farben der Buchstaben, so zögern wir, verspüren die vorhin angesprochene Kon­kurrenz der Sinndimensi­onen, dh. die Buchstaben gehören in zweierlei Ordnungen und die BetrachterInnen entscheiden qua Abschattung, worauf sie sich kon­zentrieren: die farbig-flächigen Elemente oder den möglichen Sinn der Buchstabenreihe.

Doch nicht nur das Sehen und der Intellekt treten in Resonanz zum Werk. Die Reliefstruktur der Cluster lässt es in den Händen kribbeln. Man möchte die Buchstaben anfassen, Vorder- und Hintergrund – im wörtlichen Sinne – be-greifen.

Unser Blick richtet sich nun auf eine Zeile: "es ist gesundzeit… gesundzeit? Nein: "es ist gesund, Zeit zu verbringen". Nur durch eine adäquate Schei­dung trennen wir Sinn von Unsinn. Aber manchmal macht es Spaß, dem Unsinn einfach mal hörend nach­zugehen. Manchen Archäologen muß es bei der Entzifferung alter Schriften ähnlich ergangen sein.

Mit der Archäologie wähne ich mich plötzlich in vergangenen Zeiten und doch kommen Form, Farbe und Texte der Installation eher wie Werbeflä­chen daher – wiederum eine bemerkenswerte, werk­immanente Spannung.

Immer mehr Sätze treten aus der Buchstabenfolge hervor:

es ist gesund zu sein

es ist gesund sich selbst zu vergessen

es ist gesund Stimmen zu hören

Viele werden Zu-, andere Widerspruch finden, manche muten irritierend an. Wolfgang Schwarz hat zwei Jahre solche Sätze wie ein Ethnograph einfach nur gesammelt, ohne Wertung, ohne Validierung durch den Medizinischen Dienst. Er hat dem Volk auf's Maul geschaut und die Sätze nicht aus einem salutogenetischen Konzept "abgeleitet".

Auf den Metallplatten wiederholen sich die Sätze in der Reihe und brechen am Ende der Platten einfach ab – wie das Ende eines Gesundheits-Werbe­spots, den man auf dem Weg zur Küche nicht mehr hört. Damit verweist das Werk auf ständige Wiederholung, das Geplapper von Slogans. Reproduzier­bar­keit, Austauschbarkeit und Gleich-gültigkeit stehen wiederum in Span­nung zum Werk selbst, das ein Unikat, ein unverwech­selbares Einzelnes ist.

es ist gesund zu sein

es ist gesund unterwegs zu sein

es ist gesund Farbe zu bekennen

Jeder Satz könnte eine Geschichte, könnte mehrere Geschichten erzählen. Geschichten, die sich in ihren Köpfen befinden, auf die Sie aber ohne Reso­nanz mit dem Werk nicht so einfach kämen. Ich selbst suchte geradezu nach dem Satz: "es ist gesund, zu sein". In seiner Abstraktheit und vermeint­lichen Wahrheit treibt er die Gedanken weiter: was heißt es zu "sein"? Kommt es – für uns leiblich-endliche Wesen – nicht immer auf die bestimmte Form, die kon­krete Lebensweise an?

Doch gibt es nicht auch die Last zu sein, die den Fürsten Oblomow in Gont­scharovs gleichnamigen Roman so plagte?

Kann ich die gelesenen Sätze eigentlich so apodiktisch, frei von Einschrän­kun­gen, stehen lassen? Und schon stürmt – statt des "es ist gesund" – ein ande­res Wort in den Assoziationsraum, das Wort Kohelets, des Predigers: "alles hat seine Zeit" – "Geboren werden hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit" (Koh 3,2).

Waren wir mit den Assoziationen des Werbespots und der technischen Re­pro­duzierbarkeit gerade noch bei den Verspre­chungen der Gesundheitsin­dustrie, so befinden wir uns nun in einer ganz anderen Dimension. Ich nehme diese Spannung zu Anlass, einen Schritt zurückzutreten.

Zum Werk gestaltender Kunst, besonders wenn es aus dem Rahmen des Ta­felbildes heraustritt, gehört die Situierung, die Konstellation hinzu. Die erste Präsentation in Quakenbrück befand sich zwischen eigentlichem Kran­ken­haustrakt und der Kapelle, - also zwischen Gesund-Machern und Ge­sund-Be­tern? Eine frag­würdige Alternative, möglicherweise gar keine, sondern nur die Differenz im Anspruch technischer oder magischer Erzwin­gung von Heilung.

Hier nun – im Kreishaus Osnabrück – treten weitere, bislang abgeschattete Dimensionen in den Fokus: Politik, Ökonomie und Kultur. Gesundheit bzw. ihre Privationsform – Krankheit – muss organisiert, verwaltet und finanziert werden. Sie kennen diese Diskussionen.

Gesundheit zeigt sich zudem als Gegenstand verdienstvoller pädagogi­scher Bemühungen, aber auch fragwürdiger Heils­versprechen und Selbstinszenie­rungen... …

Unser "Schritt zurück" gerät in Gefahr, sich zu verlaufen. Lassen Sie uns lieber wieder ins hic et nunc, zu "es ist gesund..." zurückkehren. Der Spötter Lichten­berg notierte einmal: Das Gefühl von Gesundheit erwirbt man sich nur durch Krankheit. Oder wie es in einem deutschen Sprichwort heißt: Ge­sundheit schätzt man erst, wenn man krank wird.

Trivial – werden Sie sagen, aber wie häufig vergessen wir dies im alltägli­chen Laufrad des Lebens.

Die Gesundheit ist wirklich ein eigentümliches Phänomen. Diese Eigentüm­lich­keit teilt sie mit dem Leib – beide bleiben gewöhn­licher­weise im Verbor­genen, um eine Formulierung Gadamers aufzugreifen.

Der französische Arzt René Lériche sprach einmal davon: Gesundheit sei das Leben im Schweigen der Organe. Organ schreibt sich griechisch von organon = Werkzeug her, Werk­zeuge dienen einem Handlungsvollzug, einem Ziel und unsere Aufmerk­samkeit liegt ganz beim Vollzug. Erst wenn die Zange nicht greift, der Hammerkopf wackelt werden wir auf die Werk­zeuge als Werkzeuge aufmerksam.

Was nehme ich z.B. von meinen Füßen wahr, wenn ich flugs zum Bahnhof laufe? Sie brechen jedoch ihr Schweigen, wenn ich über eine Bordstein­kante stolpere. Dann bin ich ganz im Hier und Jetzt und es schmerzt. Oder denken Sie an das Alter: Die Leichtigkeit des Seins des jugendlichen Leibes schwindet, der Leib wird in seiner brüchigen Substanzhaftigkeit spürbar, eine Arthrose z.B. lässt sie alle an einer Bewegung beteiligten Knochen spü­ren. Herbert Plügge und Jean Améry haben diese Phänomene auf ganz einfühlsam-präzise Weise beschrieben.

Zwischen schmerzhaftem Melden und dem Schweigen gibt es Zwischen­stufen, ein Raunen vielleicht, wie z.B. mein Nystagmus, ein Augenzittern, das meine sichtbare Welt ins Schwingen, manchmal sekundenbruchteilhaft auch zum Verschwinden bringt. Eine Einschränkung, die geradezu zum Inter­esse an der Philosophie motiviert.   

Ja – die Einschränkung von Gesundheit bedeutet nicht ein­fach, erkrankt zu sein. Man fragt zwar oft "Was fehlt Dir?", aber es geht nicht einfach um einen Mangel, die Abwesenheit eines Elements innerhalb eines unverän­derten Gan­zen. Das Ganze, die Selbst- und Weltwahrnehmung, ggf. auch die Lebensent­würfe geraten in eine Krise und wandeln sich manchmal dau­erhaft.

Gesundheit und Krankheit bilden ein Kontinuum, keine dicho­tomen Gegen­sätze. Schon vor über hundert Jahren schrieb Friedrich Nietzsche:

"Gesundheit und Krankheit sind nichts wesentlich Ver­schiedenes (…). Man muß nicht distinkte Prinzipien oder Entitäten daraus machen, die sich um den lebenden Orga­nismus streiten und aus ihm ihren Kampf­platz machen. (…) Tatsächlich gibt es zwischen diesen beiden Arten des Daseins nur Gradunterschiede: die Übertreibung, (…), die Nicht-Harmo­nie der normalen Phäno­mene konstituieren den krankhaften Zustand ..." [1]

Es ist gesund unterwegs zu sein

Es ist gesund Farbe zu bekennen

Es ist gesund Krieg zu verurteilen

Es ist gesund einen Drachen zu töten

Es ist gesund zu warten

Es ist gesund sich im Zaum zu halten
(…)

Was mir bei Wolfgangs Sammlung auffiel: die Sätze enthalten selten Ein­schränkungen – eine Ausnahme: Es ist gesund bisweilen ungesund zu le­ben. Aber sie widersprechen einander:

Es ist gesund sich im Zaum zu halten

Es ist gesund die Fassung zu verlieren

Wieder möchte ich – in freier Variation – an Kohelet denken:

Langmut hat seine Zeit; Zürnen hat seine Zeit.

Grundsätzlichere Fragen drängten sich mir auf: Ist es eigentlich nur eine bio­grafisch motivierte Wahl – naheliegend für einen Arzt –, Gesundheit zum Thema zu machen?

Könnte ich nicht sagen?

Es ist gut sich im Zaum zu halten

Es ist gut die Fassung zu verlieren

Oder könnte ich die Sätze nicht in Gebote umformulieren?

Du sollst Farbe bekennen

Du sollst Krieg verurteilen

Die alte ethische Frage nach dem "guten Leben", dem bíos agathós, wandelt sich in der Moderne tendenziell zur bio-politi­schen Frage nach den Bedingun­gen einer puren "natürlichen Selbst­erhaltung". Dass dem Men­schen ein Ge­setz der Sittlichkeit innewohnt, ist spätestens nach den Zivilisa­tionsbrü­chen des 20. Jahrhunderts mehr als fraglich geworden. So wäre in einer völlig sä­kularisierten Gesellschaft Gesundheit der einzige, aber gänz­lich immanente Bezugspunkt für eine – wie ich meine – nur vermeintlich sinnvolle Lebensfüh­rung. Und es gab eine Zeit, in der der gesunde deutsche Volkskörper – ideolo­gisch zumindest – im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand.

Selbst der Hedonismus heutiger Tendenzen zur Fun-Gesell­schaft geht nicht leidenschaftlich aufs Ganze; so wie wiederum Nietzsche einst bemerkte:

"Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit. »Wir haben das Glück erfunden« – sa­gen die letzten Menschen und blinzeln. –" [2]

Wie Sie sehen, kann aus dem vergnügten Spiel mit Plastik­buchstaben unver­mittelt Ernst werden, wenn man sich auf das Werk einlässt und ggf. eigene Selbstverständlichkeiten in Frage stellt.

Doch nota bene: was ich Ihnen in meinen skizzenhaften Aus­führungen hier vorgestellt habe, ist nicht die Aussage, die Interpretation dieser Arbeit von Wolfgang Schwarz, sondern das Ergebnis eines Dialogs zwischen meiner Per­son und der Installation. Im "Zwischenreich des Dialogs" gibt es keine klar un­terscheidbaren Sender und Empfänger, beide Seiten sind affiziert. Versuchen Sie es selbst !!

Sie haben die Möglichkeit, das Werk zu bereichern. Zwei Platten tragen nur den Anfang der Sätze "es ist gesund…". Nehmen Sie die beiliegenden Buch­staben und schreiben Sie ihre eigenen Sätze und - machen Sie sich Ihre eige­nen Gedanken.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit

 

[1] Friedrich Nietzsche: Werke und Briefe: [17]. Friedrich Nietzsche: Werke, S. 9326 (vgl. Nietzsche-W Bd. 3, S. 781) (c) C. Hanser Verlag

[2] Friedrich Nietzsche: Werke und Briefe: Zarathustras Vorrede. Friedrich Nietzsche: Werke, S. 6301 (vgl. Nietz-sche-W Bd. 2, S. 285) (c) C. Hanser Verlag

 

 

 

 


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