Dr. Roland Kaufhold - Bücher, Rezensionen, Texte  & Links 

Peter Schneider

Die Psychoanalyse ist kritisch, aber nicht Ernst.

Zur Politik der Psychoanalyse der Politik

 

1988, Neuaufl. Gießen 2001 (Psychosozial-Verlag)

 

Über seine Ernennung zum Professor der Universität Wien schrieb Freud: „Die Teilnahme der Bevölkerung ist sehr groß. Es regnet auch jetzt schon Glückwünsche und Blumenspenden, als sei die Rolle der Sexualität von seiner Majestät amtlich anerkannt, die Bedeutung des Traumes vom Ministerrat bestätigt und die Notwendigkeit einer psychoanalytischen Therapie der Hysterie mit 2/3 Majorität im Parlament durchdrungen.“ (S. 68f) Diese ironische Distanz und Skepsis möchte der Autor, Teilnehmer des linken Psychoanalytischen Seminars Zürich, seiner Wissenschaft zurückzugewinnen: „eine Polemik gegen den beflissenen Ernst einer Psychoanalyse, die über den diversen wichtigen und drückenden Verantwortungen, denen sie in Ausbildung, Institution, Gesellschaftskritik und Therapie zu genügen auf sich genommen hat, nicht mehr so recht zum Nachdenken kommt."

Was diesem analytischen Nachdenken entgegensteht, benennt Schneider in acht Essays: Die Errichtung reglementierter psychoanalytischer Ausbildungsstrukturen zum Erwerb von Wissen und schulmäßig erworbener Kenntnisse sei letztendlich kontraproduktiv, insofern diese – mit Erfolgsprämien (Krankenkassenzulassung) garnierte – „anale Lernprozesse“ (S. 12) darstellten. Auch die Lehranalyse tendiere in ihrer Abgrenzung zur therapeutischen Analyse eher zum „institutionsabsichernden Initiationsritual“ (S. 20) als zum Prozess einer dialogischen Selbsterkenntnis. Mit Bezug auf Foucaults Analysen zur Unterwerfungs- und Disziplinierungsfunktion von Prüfungen erkennt Schneider in der Ausschließung der „Laien“analyse (nahezu nur Ärzten wird der Zugang zur analytischen Ausbildung konzidiert) ein weiteres Element der „Entfaltung einer Strategie von Ausschließungen (...), die die Wirksamkeit der institutionellen Herrschaftsausübung steigern und zugleich verschleiern.“ (S. 30) Diese Prozesse liest er als Abwehrvorgang, der die Lähmung einer unabhängigen, von Verwertungszwecken losgelösten theoretischen Neugier als Konsequenz hat. Die durchreglementierten, kirchenähnlichen psychoanalytischen Institutionen erzeugten inzwischen mehr Denkhemmung als Erkenntnis.

Es ist nicht möglich, über das Unbewusste zu sprechen, ohne zugleich Unbewusstes zu sprechen: Diesen unaufhebbaren Widerspruch gelte es stehen zu lassen, anstatt sich, um die Anerkennung der Analyse als „vollwertige Wissenschaft“ (S. 43) zu erlangen, „bereitwillig in die Einheitsfront einer fragwürdigen, alles unifizierenden Interdisziplinarität“ (S. 38) einzureihen. Freuds Forderung, man müsse die Analyse „am eigenen Leib“ erleben (GW XII, S. 12), sei von unverminderter Gültigkeit: „Psychoanalytisches Denken erlangt man nicht, man praktiziert es.“ (S. 60) Der Unterschied zur Politik bestehe darin, dass Politik auf Gemeinsamkeiten, Kompromissen und auf unausweichliche Zumutungen gegenüber dem einzelnen angewiesen sei, während die Analyse jeden möglichen Widerspruch zu artikulieren habe. Das Buch richtet sich vor allem an Leser, die der spezifischen psychoanalytischen Erkenntnismethode gegenüber zumindest Sympathie empfinde. Insofern es einen wortgewaltigen Widerspruch gegenüber „allen Konsenszumutungen“ (S. 71) artikuliert, dürfte es jedoch noch weitere Interessenten finden.

Roland Kaufhold

 

Diese Besprechung ist erschienen in: Das Argument, Heft 182, 32. Jg., 1990, S. 643f.

Rezension von
Roland Kaufhold

Dr. Peter Schneider lebt und arbeitet als Psychoanalytiker, Publizist und Radioredakteur in Zürich. Er ist Mitglied des Psychoanalytischen Seminars Zürich (PSZ). Buch- und Aufsatzpublikationen vor zu theoretischen Problemen der Psychoanalyse; daneben zahlreiche Publikationen satirischer, kabarettistischer und parodistischer Bücher, Buchbeiträge und Radiosendungen.

 

Internet:
www.peterschneider.info

 


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