Sind wir Freunde Hiobs? - Exegetische und psychotherapeutische
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Donnerstag, 20. April 2000

Der verzweifelten Klage können Freude
und Dankbarkeit folgen

"Nachdenken über Hiob"
in der Karwoche von besonderer Bedeutung

Von Elisabeth Gadeberg

Quakenbrück
Hiob ist ein gütiger und gottesfürchtiger Mann. Sein Leben verläuft in geordneten Bahnen. Plötzlich jedoch gerät es aus den Fugen. Hiob scheint vom Unglück verfolgt: Er sieht sich konfrontiert mit Krankheit, Elend, Not und Tod. Wie geht Hiob damit um, wie seine Freunde? Wie gehen Menschen damit um, wie ihre Umwelt? Dieser Frage widmete sich eine von der Abteilung für Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik initiierte Tagung am Christlichen Krankenhaus: "Nachdenken über Hiob - Psychotherapie und Seelsorge Im Gespräch über Trauma, Verlust und Trauer".

Der Themenwahl liegt ein Defizit zugrunde: Die spirituelle Dimension des Menschen werde tabuisiert. "Sie scheint aus dem Bewusstsein verdrängt wie vor 100 Jahren die Sexualität", eröffnete der Chefarzt der Abteilung, Dr. Eckhard Schiffer, die Reihe der Referate. Diese Verdrängung jedoch führe zu einer sehr verkürzten Betrachtungsweise menschlichen Lebens.

Zum Leben gehören Geburt und Tod, Gesundheit und Krankheit. Sich der Existenz dieser beiden Seiten bewusst zu sein, forderte auch Prof. D. Dr. Peter Eicher, Systemtheologe (Prof. für Systematische Theologie – Erg. R.S.) an der Universität Paderborn, in einem atemberaubenden, von sehr persönlichen Erfahrungen geprägten Vortrag. Erst in der Auseinandersetzung mit dem Leiden und mit Gott mit dem Fluch Hiobs - werde - sie beginnt der Verzweifelte zum ganzen Menschen. Gott akzeptiert diesen Hiob mit allen Facetten seiner Persönlichkeit, mit seiner Wut, seiner Trauer und seiner Verzweiflungdie Augen, die ihn . Hiob sucht sehen, und Gott "sieht" ihn. Er tut das, was Begegnung auch zwischen Menschen erst möglich macht: das Gegenüber in seiner Ambivalenz, auch im Leid und in der Trauer, wahranzunehmen: - und "Gott, das Menschen, die sich ohne Scham in die Augen sehen können - die leben". Der Konflikt mit Klagen und Weinen, ist unbedingt Gefühl, das notwendig für ein gesundes Leben, so der Theologe. Das man hat, wenn man leidet, da ist, der anzunehmen als etwas, mit dem man arbeiten kann, wenn jemand zuhört - es hat heilende Wirkung.

DER SCHREI heißt das Bild von Edvard Munch.
So wie das Bild es ausdrücke, fühlten sich
viele psychisch kranke Menschen, wusste
Klinikpfarrer Rainer Herzfeld, der in ihnen
jeden Tag die biblische Geschichte des Hiob
neu mitfühlt.

Das weiß auch die Notfallseelsorge, deren Anliegen es ist, mitzugehen auf dem Weg des Sterbens und Trauerns. Sie will einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen, Betroffene und Retter, wieder zur Sprache kommen, Raum finden für das, was seelisch zu verarbeiten ist.

Spirituelle Dimension des Menschen wird tabuisiert

Zuhören, gemeinsam schweigen und weinen: Pastor Jürgen Loest, Notfallseelsorger und selbst aktiver Feuerwehrmann, weiß, wovon er spricht. "Wir sind Lebende und Sterbende zugleich und wollen es nicht wahrhaben."
In dieser Spannung, der Hoffnung und der Aussicht des unvermeidlichen Endes, lebte auch eine Patientin, die [Dr.] Barbara Esch (Ärztin & Psychotherapeutin - Erg. R.S.) auf ihrem Weg begleitete. Die 53 Jahre alte Frau wartete auf eine Herztransplantation. Sie starb, noch bevor ein Spenderherz zur Verfügung stand. "Endlich leben" hatte Barbara Esch ihr Protokoll einer Sterbebegleitung überschrieben.
Den Brief an einen Freund hatte Krankenhausseelsorgerin Antje Junghans-Maurer einer "Begegnung" besonderer Art gewidmet. Beeindruckend schilderte sie darin die Begegnung mit einer psychisch kranken Patientin. Anrührend beschrieb sie die Freude dieser Frau über das Wissen, wahrgenommen, angenommen und ernst genommen zu werden in einer "Verrücktheit, die nicht gelebt werden darf".
Auch Klinikpfarrer Rainer Herzfeld, Osnabrück, macht solche Erfahrungen, erlebt im Umgang mit psychisch kranken Patienten die Hiob-Geschichte täglich in anderer Gestalt. Menschen, die sich häufig im Abseits fühlen, in ihren Innen- und Außenansichten täglich neu wahrzunehmen und anzunehmen, ihnen zu vermitteln, dass sie auch von Gott wahr- und angenommen sind, ist das besondere Anliegen der Seelsorge. Seelsorge bedeute hier ausdrücklich in aller Not und allem Leid Gottes Beistand zuzusagen und emst zu machen mit der Tatsache, "dass der Glaube mir nicht das Leid in dieser Welt erspart oder gar wegnimmt, sondern Kraft und Hoffnung auf einen Gott gibt, der mit mir ist".
Kraft zur Veränderung aktivieren will Tanztherapie. "Im Leib wieder zu Hause sein" formulierte Tanztherapeutin Franziska Hille, die die Möglichkeiten der Tanztherapie bei Krankheit und Traumatisie-rung aufzeigte. "Tanztherapie ist immer kreativ, wie grauenhaft die Inhalte auch sein mögen." In Bewegung zu kommen sei Voraussetzung für Veränderung, für eine Veränderung des Blickwinkels. Einer Frau, die missbraucht worden sei, könne auf diese Weise bewusst werden, daß sie nicht nur eine Identität als Missbrauchsopfer habe, so wie Gier nur eine Seite der Neugier, Innere Leere die andere Seite von Empfangsbereitschaft sei: "Die Wertschätzung des Lebens mit allen seinen Schattenseiten kann ein Weg sein, mit diesen Schattenseiten umzugehen."
Dipl.-Psych. Rudolf Süsske setzte sich mit der Frage auseinander, was der Hiob-Text den Leser lehren könne. So gehe es zum einen um die notwendige Desillusionierung des Menschen, zum anderen aber auch um unsere Reaktionen angesichts menschlichen Leides. "Wir lernen durch den Hiob-Text mehr über das Wie als über das Was unserer Antworten."

Das Leben mit allen Schattenseiten wertschätzen

"Zur Lebendigkeit Gottes gehört auch das Klagen" bedauerte Diplomtheologin Lucia Zimmer die kritische Haltung der Kirche gegenüber dem leidenschaftlichen Ausdruck von Klage und den Wegfall der Klage als Gebetsgattung. Klage sei Trauerarbeit, erinnerte sie an Klage- und Fluchpsalmen. "Gott ist der Adressat für meine Verzweiflung." Menschen müssten mit Gefühlen von Hass und Wut in Berührung kommen und sie vor Gott zulassen dürfen. "Dann können Gefühle von Dankbarkeit und Freude folgen."
Ein Gedanke, der in der Karwoche eine ganz besondere Bedeutung gewinnt.


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