Quakenbrück
Hiob ist ein gütiger und gottesfürchtiger Mann. Sein
Leben verläuft in geordneten Bahnen. Plötzlich jedoch
gerät es aus den Fugen. Hiob scheint vom Unglück
verfolgt: Er sieht sich konfrontiert mit Krankheit,
Elend, Not und Tod. Wie geht Hiob damit um, wie seine
Freunde? Wie gehen Menschen damit um, wie ihre Umwelt?
Dieser Frage widmete sich eine von der Abteilung für
Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik initiierte
Tagung am Christlichen Krankenhaus: "Nachdenken über
Hiob - Psychotherapie und Seelsorge Im Gespräch über
Trauma, Verlust und Trauer".
Der Themenwahl liegt
ein Defizit zugrunde: Die spirituelle Dimension des
Menschen werde tabuisiert. "Sie scheint aus dem
Bewusstsein verdrängt wie vor 100 Jahren die Sexualität",
eröffnete der Chefarzt der Abteilung, Dr. Eckhard
Schiffer, die Reihe der Referate. Diese Verdrängung
jedoch führe zu einer sehr verkürzten Betrachtungsweise
menschlichen Lebens.
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Zum Leben gehören Geburt und Tod, Gesundheit und
Krankheit. Sich der Existenz dieser beiden Seiten
bewusst zu sein, forderte auch Prof. D. Dr.
Peter Eicher, Systemtheologe (Prof.
für Systematische Theologie Erg. R.S.)
an der Universität Paderborn, in einem
atemberaubenden, von sehr persönlichen
Erfahrungen geprägten Vortrag. Erst in der
Auseinandersetzung mit dem Leiden und mit Gott
mit dem Fluch Hiobs - werde - sie beginnt der
Verzweifelte zum ganzen Menschen. Gott akzeptiert
diesen Hiob mit allen Facetten seiner Persönlichkeit,
mit seiner Wut, seiner Trauer und seiner
Verzweiflungdie Augen, die ihn . Hiob sucht
sehen, und Gott "sieht" ihn. Er tut
das, was Begegnung auch zwischen Menschen erst möglich
macht: das Gegenüber in seiner Ambivalenz, auch
im Leid und in der Trauer, wahranzunehmen: - und
"Gott, das Menschen, die sich ohne Scham in
die Augen sehen können - die leben". Der
Konflikt mit Klagen und Weinen, ist unbedingt Gefühl,
das notwendig für ein gesundes Leben, so der
Theologe. Das man hat, wenn man leidet, da ist,
der anzunehmen als etwas, mit dem man arbeiten
kann, wenn jemand zuhört - es hat heilende
Wirkung.
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DER SCHREI heißt das Bild von
Edvard Munch.
So wie das Bild es ausdrücke, fühlten sich
viele psychisch kranke Menschen, wusste
Klinikpfarrer Rainer Herzfeld, der in ihnen
jeden Tag die biblische Geschichte des Hiob
neu mitfühlt.
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Das weiß auch die
Notfallseelsorge, deren Anliegen es ist, mitzugehen auf
dem Weg des Sterbens und Trauerns. Sie will einen Beitrag
dazu leisten, dass Menschen, Betroffene und Retter,
wieder zur Sprache kommen, Raum finden für das, was
seelisch zu verarbeiten ist.
Spirituelle
Dimension des Menschen wird tabuisiert
Zuhören, gemeinsam
schweigen und weinen: Pastor Jürgen Loest,
Notfallseelsorger und selbst aktiver Feuerwehrmann, weiß,
wovon er spricht. "Wir sind Lebende und Sterbende
zugleich und wollen es nicht wahrhaben."
In
dieser Spannung, der Hoffnung und der Aussicht des
unvermeidlichen Endes, lebte auch eine Patientin, die [Dr.]
Barbara Esch (Ärztin & Psychotherapeutin - Erg.
R.S.) auf ihrem Weg begleitete. Die 53 Jahre alte
Frau wartete auf eine Herztransplantation. Sie starb,
noch bevor ein Spenderherz zur Verfügung stand. "Endlich
leben" hatte Barbara Esch ihr Protokoll einer
Sterbebegleitung überschrieben.
Den Brief an einen Freund hatte Krankenhausseelsorgerin
Antje Junghans-Maurer einer "Begegnung"
besonderer Art gewidmet. Beeindruckend schilderte sie
darin die Begegnung mit einer psychisch kranken Patientin.
Anrührend beschrieb sie die Freude dieser Frau über das
Wissen, wahrgenommen, angenommen und ernst genommen zu
werden in einer "Verrücktheit, die nicht gelebt
werden darf".
Auch Klinikpfarrer Rainer Herzfeld, Osnabrück,
macht solche Erfahrungen, erlebt im Umgang mit psychisch
kranken Patienten die Hiob-Geschichte täglich in anderer
Gestalt. Menschen, die sich häufig im Abseits fühlen,
in ihren Innen- und Außenansichten täglich neu
wahrzunehmen und anzunehmen, ihnen zu vermitteln, dass
sie auch von Gott wahr- und angenommen sind, ist das
besondere Anliegen der Seelsorge. Seelsorge bedeute hier
ausdrücklich in aller Not und allem Leid Gottes Beistand
zuzusagen und emst zu machen mit der Tatsache, "dass
der Glaube mir nicht das Leid in dieser Welt erspart oder
gar wegnimmt, sondern Kraft und Hoffnung auf einen Gott
gibt, der mit mir ist".
Kraft zur Veränderung aktivieren will Tanztherapie.
"Im Leib wieder zu Hause sein" formulierte Tanztherapeutin
Franziska Hille, die die Möglichkeiten der
Tanztherapie bei Krankheit und Traumatisie-rung aufzeigte.
"Tanztherapie ist immer kreativ, wie grauenhaft die
Inhalte auch sein mögen." In Bewegung zu kommen sei
Voraussetzung für Veränderung, für eine Veränderung
des Blickwinkels. Einer Frau, die missbraucht worden sei,
könne auf diese Weise bewusst werden, daß sie nicht nur
eine Identität als Missbrauchsopfer habe, so wie Gier
nur eine Seite der Neugier, Innere Leere die andere Seite
von Empfangsbereitschaft sei: "Die Wertschätzung
des Lebens mit allen seinen Schattenseiten kann ein Weg
sein, mit diesen Schattenseiten umzugehen."
Dipl.-Psych. Rudolf Süsske setzte sich mit der
Frage auseinander, was der Hiob-Text den Leser lehren könne.
So gehe es zum einen um die notwendige Desillusionierung
des Menschen, zum anderen aber auch um unsere Reaktionen
angesichts menschlichen Leides. "Wir lernen durch
den Hiob-Text mehr über
das Wie als über das Was unserer Antworten."
Das Leben mit
allen Schattenseiten wertschätzen
"Zur Lebendigkeit
Gottes gehört auch das Klagen" bedauerte Diplomtheologin
Lucia Zimmer die kritische Haltung der Kirche gegenüber
dem leidenschaftlichen Ausdruck von Klage und den Wegfall
der Klage als Gebetsgattung. Klage sei Trauerarbeit,
erinnerte sie an Klage- und Fluchpsalmen. "Gott ist
der Adressat für meine Verzweiflung." Menschen müssten
mit Gefühlen von Hass und Wut in Berührung kommen und
sie vor Gott zulassen dürfen. "Dann können Gefühle
von Dankbarkeit und Freude folgen."
Ein Gedanke, der in der Karwoche eine ganz besondere
Bedeutung gewinnt.
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