Gideon Greif: Nachforschungen zu individuellen Auseinandersetzungen mit dem Holocaust

Übersicht

Ein abgeschnittenes Leben

download als PDF-DateiDas Tagebuch von Etty Hillesum 1941-1943 [1]

Gideon Greif


Am Samstag, dem 9. März 1941, begann Etty Hillesum, eine junge jüdische Frau, damals sieben­undzwanzig Jahre alt, in Amsterdam, das sich bereits unter deutscher Besatzung befand, ein Tagebuch zu schreiben – eines von mehreren Tage­büchern, die während der Zeit der Shoah geschrieben wurden. Diese Auf­zeich­nungen sind  außergewöhnlich und einzigartig aufgrund der beson­deren Persönlichkeit ihrer Verfasserin und ihres besonderen Blicks auf die Welt.

Die Ereignisse, die Etty Hillesum von ihrem Fenster beobachtet, sind ein Teil ihrer niedergeschriebenen Erinnerungen, aber diese lassen sich in gewisser Weise auch losgelöst vom Alltag und vom persönlichen Schicksal der Autorin betrach­ten. Sie sind voll von Lebensweisheit, von Menschlichkeit, von Analysen des menschlichen Seins, von Zivilcourage und von Wahrhaftigkeit, nicht nur im Hinblick auf die Geschichte der Shoah, sondern auch in Bezug auf universelle Werte – hauptsächlich deshalb, weil nicht die Person Etty im Zentrum steht, sondern der Mensch überhaupt, mit seinen Gefühlen, innerhalb seiner mensch­­lichen Verhältnisse, mit seiner Liebe und seinem Hass, und auch in seinem Verhältnis zu Gott. Aufgrund der universellen Ideen, die ihre Erinne­rungen beinhalten, und weil die Verfasserin als Mensch schreibt und nicht unbedingt als Jüdin, ist dieses Tagebuch wertvoll für jeden Leser, aus jeder Gesellschaft, Kultur und Religion.

Was ihrem Tagebuch außerdem einen allgemeinen gültigen Charakter verleiht, ist, dass die Persönlichkeit der Autorin auf eine sehr selten anzutreffende Art nicht egoistisch und egozentrisch ist. Ihre Tagebücher sind ein Sprachrohr, ein Plädoyer für die guten Seiten des Menschen.

Interessant ist, dass in derselben Stadt, Amsterdam, nur einige Kilometer entfernt, auch ein anderes junges jüdisches Mädchen in seinem Versteck ein Tagebuch schrieb. Das Tagebuch der Anne Frank ging kurze Zeit nach seiner Entdeckung, nach der Shoah, in die Geschichte ein und wurde bis jetzt von Millionen Menschen in der ganzen Welt gelesen. Im Gegensatz dazu war das Tagebuch der Etty Hillesum bis zum Jahre 1981 unbekannt – obwohl es nicht weniger bedeutsam ist. Das beweist, wie unterschiedlich das Schicksal von historischen Dokumenten sein kann.

Auf jeden Fall wurde auch dieses erschütternde Tagebuch seit seiner Veröffentlichung übersetzt – ins Deutsche, ins Englische, ins Polnische – und erreichte zahllose Leser in aller Welt; es wird – mit Recht – als eines der wichtigsten Dokumente unserer Generation angesehen.

Die beiden Tagebücher, von Anne Frank und von Etty Hillesum, unter­scheiden sich allerdings grundlegend voneinander. Die beiden Autorinnen waren in ihrer Persönlichkeit grundverschieden, und mit Ausnahme des glei­chen geographischen und geschichtlichen Hintergrundes gibt es kaum einen Zusammenhang zwischen den beiden Tagebüchern. In ihren kurzen Lebens­geschichten gibt es nur zwei Gemeinsamkeiten:

Die eine: Beide waren Jüdinnen, die nur aus diesem Grund zum Tode verurteilt waren. Die zweite: Beide starben in Konzentrations- und Vernichtungslagern während der Shoah.

Etty Hillesum schrieb ihr Tagebuch in den Jahren 1941 und 1942. Die letzte Eintragung fand am 12. Oktober 1942 statt. Etty Hillesum schrieb auch während ihrer Zeit im Durchgangslager Westerbork Briefe, und diese Briefe, die ebenfalls erhalten geblieben sind, sind ein untrennbarer Teil ihrer Tage­bücher.

Ihre Aufzeichnungen sind in neun Hefte mit einer engen, sehr schlecht leser­lichen Handschrift überliefert; Etty Hillesum übergab sie kurz vor ihrem Abtransport nach Auschwitz ihrer Freundin Maria Tuinzing. Sie bat diese, auf ihre Tagebücher aufzupassen und sie nach dem Krieg dem holländischen Schriftsteller Klaas Smelik und seiner Tochter Johanna zu übergeben. Sie woll­te, dass man das Material als Buch veröffentliche, und hoffte, dass ihr Freund, der Schriftsteller, einen Verlag für die Herausgabe gewinnen würde. Etty Hillesum wollte eine Erinnerung hinterlassen und mit anderen ihre Erlebnisse teilen, vor allem aber die Antworten, die sie für sich gefunden hatte in Zeiten persönlichen und allgemeinen Leids.

Etty Hillesum hatte das Gefühl, dass ihre persönliche Weltanschauung auch für andere hilfreich sein könnte – auch nach ihrem Tod, mit dem sie sich bereits wie mit einer unabänderlichen Tatsache abgefunden hatte. Sie wollte, dass ihre Ideen auch weiter der Gesellschaft helfen sollten – ein Prinzip, das sie das ganze Leben begleitet hatte: Den Menschen zu helfen und ihnen das Leben einfacher und unkomplizierter zu machen. Sie war bis zu ihrem letzten Atemzug überzeugt, dass der Mensch gutherzig sei und nicht bösartig und dass die Bösartigkeit – sogar der schlimmsten Nazis – eine Perversion sei, die man bekämpfen könne.

Alle Versuche seitens der Familie Smelik, die Tagebücher von Etty Hillesum zu veröffentlichen, schlugen fehl. Viele Verlagshäuser sahen die Tage­bücher, erkannten aber deren Wert und Bedeutung nicht. Familie Smelik brach schließlich diese vergeblichen Versuche vollends ab und brachte die Doku­mente in einem Archiv unter. Nur einer aus der Familie, der junge Klaas Smelik, bemühte sich weiter um eine Veröffentlichung und übergab die Hefte im Jahre 1980 dem Redakteur des De Haag-Verlags in Holland, Herrn Gaarlandt. „Die ersten Sätze, die ich las, haben mich überwältigt und gefesselt”, schreibt der Hauptredakteur.

Von den mehr als 400 Seiten des ursprünglichen Tagebuches wählte Gaarlandt sorgfältig 150 Seiten aus, und das Buch wurde am 1. Oktober 1981 veröffentlicht. Die Gedanken Etty Hillesums sind so nicht gestorben; Tau­sende von Lesern in vielen Ländern – so auch seit dem Jahr 1985 in Israel – konnten jetzt durch das Tagebuch mit dem Titel "Ein abgesägtes Leben" in die Welt von Etty Hillesum eintauchen.

Zunächst will ich nun einige biographische Daten der Autorin zusam­menstellen und danach auf einige Bereiche hinweisen, die, wie es aus dem Tagebuch hervorgeht, im Mittelpunkt ihrer Welt standen.

Etty Hillesum wurde am 15. Januar 1914 im holländischen Middelburg als Kind einer assimilierten Familie geboren. Ihr Vater war ein gelehrter, gebil­deter Mann, der klassische Sprachen lehrte und Vize-Direktor des städtischen Gymnasiums war. Später ging die Familie nach Dewenter in Ost-Holland (im Jahre 1924) wo der Vater zum Direktor des Gymnasiums ernannt wurde. Ihre Mutter, Rebecca, war eine gebürtige Russin, die nach einem Pogrom nach Holland geflüchtet war. Im Haus herrschte ohne Zweifel eine ausgeprägt intel­lek­tuelle Atmosphäre. Etty und ihre beiden Brüder, Mischa und Jaap, waren intelligent und talentiert. Schon als Mädchen war Etty scharfsinnig; sie sprüh­te vor Leben. Sie liebte es zu lesen, besonders philosophische Texte und Bü­cher; ihren Mitschülern war sie mit ihrem Wissen um einiges voraus. Ihr Bruder Mischa war ein begabter Pianist; schon mit sechs Jahren spielte er Wer­ke von Beethoven vor großem Publikum. Nach Ansicht vieler Zeit­genos­sen gehörte er zu den bedeutendsten Pianisten Europas. Der jüngste Bruder schließlich, Jaap, studierte Medizin, entdeckte schon im Alter von siebzehn Jah­ren einige wichtige Vitamine und war dank dieser Entdeckungen in den Laboratorien der großen Universitäten gerne gesehen; er wurde später Arzt.

Etty Hillesum selbst beendete die Schule, die ihr Vater leitete, im Jahre 1932 und nahm an der Amsterdamer Universität das Studium slawischer Sprachen auf. Nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges begann sie, Psychologie zu studieren. Ende Januar 1941 lernte sie – an einem der musikalischen Abende, an denen ihr Bruder Mischa Klavier spielte – den Psycho-Chirologen Dr. Julius Spier, einen ein Schüler C. G. Jungs, kennen. Spier, ein gebürtiger Berliner, war schon damals in der Chirologie, also der Kunde von den Hand­linien, ein bekannter Experte. Etty ließ sich anfangs von ihm behandeln; sie wurde seine Freundin und Geliebte. Nicht zuletzt unter seinem Einfluss form­te sie sich ihre neue Anschauung des Lebens.

Spier, den Etty in ihrem Tagebuch mit „S” bezeichnet, steht im Mittel­punkt ihrer Aufzeichnungen. Die Wandlung ihrer persönlichen Beziehung mit dem Mann Spier verlief parallel zur Entwicklung ihrer Anschauungen über die Menschen allgemein und die individuelle Beziehung eines jeden von uns zu seiner Welt und seinem Gott. Der Freundeskreis von Spier wurde auch der ihre; Etty beschreibt diesen Kreis ausführlich.

Eine andere Gruppe von Bekannten, die Teil ihres professionellen und gesellschaftlichen Kreises war, gehörte zur akademischen Welt. Es waren Stu­den­ten und Professoren der russischen Sprache und Kultur. In der im Tage­buch beschriebenen Zeit unterrichtete Etty Studenten, die ihr von der Uni­versität zugewiesen wurden, in der russischen Sprache.

Eine dritte Gruppe von Bekannten schließlich, die zu einem Teil ihres Lebens wurde und oft im Tagebuch erwähnt wird, sind Nachbarn in dem Haus, in das sie kurz vor dem Krieg einzog, in der Gabriel-Mezu-Straße 6 in Süd-Amsterdam.

Das Tagebuch der Etty Hillesum beginnt, als Holland bereits ein Jahr unter deutscher Besatzung lebt. Ab 1941 werden antisemitische Gesetze verhängt, um die Juden zu isolieren, zu unterdrücken und zu erniedrigen. Die Juden wer­­den aus ihren Arbeitsstellen entlassen, sie dürfen die meisten Geschäfte nicht mehr betreten. Die Stunden, in denen sie sich außerhalb ihrer Woh­nungen aufhalten dürfen, werden begrenzt. Die Benutzung öffentlicher Ver­kehrs­mittel ist Juden untersagt, ihr Besitz wird teilweise beschlagnahmt, sie müssen in bestimmten Wohnvierteln leben, und die elementarsten bürger­lichen Rechte werden ihnen genommen. Der Strick um den Hals der hollän­dischen Juden wird enger und enger. Ab 1942 werden sie gezwungen, den gelben Stern zu tragen, und bald darauf werden sie in das Transitlager Westerbork deportiert, die letzte Station vor ihrem Transport nach Auschwitz.

All diese Ereignisse werden im Tagebuch erwähnt, sie stehen aber nicht im Zentrum der Notate von Etty Hillesum, die das Jahr 1941 vielmehr als das schönste Jahr ihres Lebens beschreibt. Hier wird bereits deutlich, wie ungewöhnlich und einzigartig dieses Tagebuch im Vergleich zu anderen Shoah-Tagebüchern ist – und wie ungewöhnlich die Person ist, die hinter diesen Tagebüchern steht.

Die historische Realität, die Ereignisse der Besatzungszeit finden in Ettys Tagebuch kaum Erwähnung. Die Texte, die sie schreibt, reflektieren ihr Verhältnis zu Gott und den Menschen. Selbst wenn wir nicht wüssten, wann ihre Texte entstanden sind, wären die Bedeutung und Aussagekraft ihrer Aufzeichnungen nicht beeinträchtigt und die Ehrlichkeit und Schönheit dieser Texte nicht gemindert. Die Shoah ist in den Text eingepflanzt, aber sie ist nicht der Hauptfaktor und die bedeutendste Kraft.

Mit der Hilfe von Freunden wird Etty als Schreibkraft in einer Abteilung des Büros des Judenrats oder ‚Joodserat’, wie er in Holland hieß, angestellt. Der Judenrat beschäftigte Hunderte Juden, die meist durch Protektion aufgenommen wurden – eine Tatsache, von der Etty wußte und die ihr zuwider war. Zwei Wochen lang, vom 15. Juli bis Anfang August 1942, arbeitete Etty beim ‚Joodserat’, den Etty als ‚Hölle’ bezeichnet.

Zu jener Zeit begann die Jagd auf Juden in den Straßen Amsterdams, und Etty beschloss, sich aus freien Stücken den Juden, die gefangen und ins Transitlager Westerbork deportiert wurden, anzuschließen. Sie tat es, weil sie sich dem Schicksal, das ihre jüdischen Brüder und Schwestern traf, nicht entziehen wollte. So wandte sie ihre Lebensphilosophie praktisch an, die sie seit Jahren, noch vor ihrem Weg nach Westerbork, unter dem Einfluß Spiers entwickelt hatte. Juden, die mit Etty zusammen im Lager Westerbork waren und überlebt haben, berichteten, dass sie – bis zu ihrem Transport nach Auschwitz – für viele ein Lichtblick und Hoffnungsstrahl war.

In Westerbork war Etty von August 1942 bis September 1943; sie arbeitete dort im Krankenhaus. Vom Joodserat hatte sie eine besondere Erlaubnis bekommen, mit der sie das Lager verlassen und nach Amsterdam fahren konnte. Obwohl sie ihr Leben damit in Gefahr brachte, nahm sie jedes­mal Briefe und Informationen aus dem Lager mit und hielt Verbindung zu Untergrundgruppen außerhalb des Lagers. Bei ihrer Rückkehr ins Lager brach­te sie Medikamente für die internierten Juden mit.

Während der letzten Monate ihres Lebens war ihre Gesundheit sehr angegriffen, so dass sie bei einer ihrer Fahrten von Westerbork nach Amsterdam in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. So wurde der letzte Teil ihres Tagebuches in Amsterdam geschrieben, nachdem sie einen Mo­nat in Westerbork inhaftiert gewesen war. Ettys Freunde in Amsterdam versuchten, sie dazu zu bewegen, sich zu verstecken. Als sie sich weigerte – eine für sie klare Entscheidung, denn eine Flucht hätte im Widerspruch zu ihrer Lebensphilosophie gestanden – machten diese Freunde sogar einen Versuch, sie zu entführen. Etty lehnte jede Hilfe ab, und am 7. September 1943 wurden sie, ihr Vater, ihre Mutter und ihr Bruder Mischa nach Polen deportiert. Aus dem Fenster der Eisenbahn warf sie eine Postkarte. Bauern, die sie fanden, schickten die Karte an die angegebene Adresse. Unter anderem steht darauf: „Wir haben das Lager singend verlassen.”

Weder Etty noch ihre Eltern und ihr Bruder Mischa überlebten bis zum Kriegsende. Ihr Bruder Jaap, der noch befreit werden konnte, starb völlig entkräftet auf seinem Weg zurück nach Holland.

Wir werden jetzt einen Blick in die Tagebücher werfen, um zu entdecken, wie Etty Hillesum sich mit verschiedenen Aspekten des Daseins beschäftigt hat.

Das Schreiben hatte für Etty Hillesum eine therapeutische Wirkung – ein Punkt den sie selber wiederholt anspricht. Hillesums Tagebuch beginnt mit einem Brief, adressiert an Dr. Julius Spier, der, wie sich im Laufe des Briefes herausstellt, Etty Hillesum helfen will, ihre psychosomatischen Symptome loszuwerden. Scheinbar hatte er ihr zuvor nahegelegt, ihre Gedanken und Gefühle niederzuschreiben, um so ihr inneres Chaos zu ordnen.

Von Anfang an füllte Etty Hillesum in ihrem Tagebuch mehrere Seiten am Stück und beruhigte ihre Angst – zu der sie sich vorher bekannte -, dass sie Schwierigkeiten mit dem Schreiben haben werde. Nach einer Woche vermerkte sie, dass sie seit Beginn ihrer Einträge kaum in der Lage war den Stift wieder aus der Hand zu legen. Sie schliesst daraus:

„Meine verstopfte Seele erscheint mir schon weniger verstopft.“      

Sie schrieb täglich, die meiste Zeit in der ersten Person; nur an Stellen wo sie sich selber kritisiert, wechselt sie in die zweite Person. Für Etty Hillesum war Schreiben offenkundig ein Mittel zur Erlangung von Selbsterkenntniss und grösserer innerer Stabilität. In all ihren Texten über Erlebnisse, Erfahrungen und Emotionen, drückt sie eine Sehnsucht nach inneren Frieden aus. Jedoch war dieser therapeutische Aspekt nicht die einzige Triebkraft in Etty Hillesums Verlangen nach schriftlicher Ausdruckskraft. Schreiben hatte für sie auch eine zusätzliche Bedeutung, die sie auf den ersten Seiten ihres Tagebuchs, in dem Brief an Spier, auch anspricht: Sie wollte eine Schriftstellerin werden. Sie verfasste ihr Tagebuch mit der Idee, es eines Tages zu veröffentlichen.

Diese beiden Triebkräfte – schreiben als Therapie und schreiben aus Ambition – kommen in ihren Texten immer wieder zum Ausdruck.

Das Leitmotiv – Liebe statt Hass

Etty Hillesum erwähnt den Krieg erstmals eine Woche nach ihrem ersten Tagebucheintrag. Auffallend dabei ist ihre tiefe Besorgnis darüber wie tiefgehend ihre Freunde die Deutschen hassen. Dies ist erstaunlich wenn man davon ausgeht, dass die meisten Opfer sich natürlich innerlich instiktiv gegen die Deutschen wandten und in diesem Stadium nicht unbedingt Selbstkritik an ihren Gefühlen von Abneigung und Hass übten. Etty dagegen beobachtet die Entwicklungen in einem viel weiteren Kontext und schreibt in einer Zusammenfassung am Ende dieses frühen Eintrags in ihr Tagebuch:

"Was ich damit sagen will ist folgendes: Die Nazi Barbarei erweckt in uns eine vergleichbare Tendenz. Hätten wir dieser Tage die Möglichkeit dazu, wir würden die gleichen Methoden anwenden. Wir müssen diese Barbarei im Herzen ablehnen, wir dürfen diesen Hass nicht in uns kultivieren, weil es nicht helfen wird diese Welt wieder aus dem Abgrund zu ziehen."

Diese Thematik wird zum Leitmotiv in all ihren Tagebüchern und Briefen. Ihre Ablehnung von Hass im Allgemeinen war genauso fundamental und vehement wie ihr innerer Widerstand gegenüber dem Nazi-Regime. Die Nazis haben das Schlechte im Menschen heraufbeschworen, selbst in den Herzen ihrer Feinde. Etty Hillesum appelliert mit Leidenschaft dafür, dass der Kampf gegen die schlechten Tendenzen im eigenen Charakter genauso wichtig ist wie der Kampf gegen die Nazi- Unterdrücker.

Folglich betont Etty in ihren Schriften die vollkommene Liebe als fundamentalsten Wert – Liebe für alle Menschen, ohne Ausnahme. Die Tagebücher sind Dokumente der Liebe, einer reinen, bedingungs- und grenzenlosen Liebe – Liebe zu den Menschen und Liebe zu Gott. Etty liebt die Menschen – auch jene, die sündigen und Unrecht tun gegen sich selbst und andere. Sie ist bereit, alle, die als Menschen geboren sind, anzunehmen; sie fühlt sich herausgefordert, denen zu helfen, die vom richtigen Weg abgewichen sind und nicht wissen, wie sie gut und richtig leben können. Etty fehlt eine Fähigkeit, die die Mehrheit der Menschen besitzt: Die Fähigkeit zu hassen. Sie kann selbst die Gestapo-Leute nicht hassen, obwohl sie sich über deren Verbrechen gegenüber den Juden und an­de­ren Menschen im Klaren ist:

"Außerdem an diesem Morgen: die überaus starke Empfindung, dass ich trotz allen Leides und Unrechts, das überall geschieht, die Menschen nicht hassen kann."

Sie versucht sogar, die Motive eines Gestapo-Mannes, der Juden misshandelt, zu verstehen. Der Gestapo-Mann der sie anschreit, erweckt in ihr eher Mitleid als Entrüstung. Sie fragt nach den Motiven seiner Bosheit, spekuliert über eine schlimme Kindheit oder eine betrogene Liebe:

"Er sah gequält und aufgeregt aus, übrigens auch recht unangenehm und schlapp. Am liebsten hätte ich ihn gleich in psychologische Behandlung genom­men."

Die Bösartigkeit, so glaubt sie, kommt aus unserem Inneren und muss be­kämpft werden.

"Ich sehe keine andere Lösung [...] als sich dem eigenen Inneren zuzuwenden und dort all das Schlechte auszurotten. Ich glaube nicht mehr daran, dass wir an der äußeren Welt etwas verbessern können, solange wir uns nicht selbst im Inneren gebessert haben. Das scheint mir die einzige Lehre dieses Krieges zu sein. Dass wir gelernt haben, das Übel nur in uns selbst zu suchen und nirgendwo anders."

An diesen Äußerungen erkennt man, dass Ettys „Optimismus“ (wenn man das so ausdrücken will) stark von ihrem Glauben aus der Psychologie herrührt. Sie sieht, dass Menschen grundsätzlich die Fähigkeit zur Bösartigkeit besitzen, ist jedoch im gleichen Zug überzeugt davon, dass solche Tendenzen behandelt und geheilt werden können. Sie begegnet dem Nazi-Horror wie ein Arzt, der einer Epedemie gegenübersteht, gegen die er eine Medizin gefunden zu haben glaubt. 

Die Bedeutung des Leidens

Eines der wesentlichen Themen für Etty Hillesum ist die Frage des Leidens in der Welt: Ihr persönliches Leiden und das Leiden des Menschen überhaupt, Juden wie Christen.

Die Shoah ist für sie kein jüdisches Ereignis, sondern sie interpretiert die Shoah als eine Prüfung, in die der Mensch gestellt wird. In diesem Sinne erscheint der Grund für den Judenhass der Nazis für Etty unwichtig. Viel be­deutender ist, wie der Mensch sich mit dem Leiden, das ein integrierter Bestandteil unseres Lebens ist, auseinandersetzt.

Die Formen des Leidens sind hierbei bedeutungslos und austauschbar, wichtig ist nur, dass der Mensch das Leiden als untrennbaren Teil des Lebens begreift. Damit betont sie noch einmal, dass Leiden nicht bedeutet, verloren zu haben oder besiegt worden zu sein. Auch während eines abgrundtiefen Leidens kann das Leben schön und reich sein. Doch um das zu erkennen und zu erleben, müssen die Menschen alle existierenden Ideen und Normen vergessen, sich befreien von jeder bekannten Konvention, um einen großen Schritt in den Kosmos zu machen. Nur so können die Menschen das Leben weiter bejahen.

Die Fähigkeit dazu sei, schreibt Etty, ein untrennbarer Teil von ihr, und sie wertet es als seelische Reife, diese Fähigkeit zu erlangen und zu besitzen. Sie sei sogar glücklich, glücklich, weil sie das Leben weiter in seiner Klarheit sehen könne, auch wenn außerhalb ihres Ichs alles schlimm und erdrückend sei.

Selbst mit dem Tod vor Augen verliert sie nicht ihre Fähigkeit, die Schön­heit des Lebens zu genießen und wach zu sein für das Gute im Leben. Auch wenn dem Menschen nichts bleibt, bleibt trotz allem noch ein Stück Himmel und Raum genug, um ein Gebet zu sprechen.

Der Tod selbst hat in Ettys Betrachtungen über das Leiden eine eigene Bedeutung. Für die Tagebuchschreiberin, die hier offenkundig  auch von ihrem bildungs­bürgerlichen Milieu geprägt und gestärkt ist, gilt der Tod als ein Teil von uns, ebenso wie Gott und der Himmel und alles andere ein Teil unseres Selbst sind. Der Tod als Teil des Lebens kann eine Person bereichern und dem Leben eine neue Dimension geben. Todesängste, Verneinung und Zurück­weisung des Todes machen unser Leben arm und furchtbar. Etty möchte gegen den Tod nicht revoltieren, sie ist nicht enttäuscht über den nahen Tod – dessen sie sich sicher ist; sie begreift das Annehmen ihres bevorstehenden Endes nicht als Kapitulation. Vielmehr macht die Erkenntnis, dass der Tod nah ist, ihre Seele stärker:

"Wenn ich sage, `mit dem Leben abgerechnet´, so meine ich damit: Die Möglichkeit des Todes ist mir absolut gegenwärtig; mein Leben hat dadurch eine Erweiterung erfahren, dass ich dem Tod, dem Untergang ins Auge blicke und ihn als einen Teil des Lebens akzeptiere. Man darf nicht vorzeitig einen Teil des Lebens dem Tod zum Opfer bringen, indem man sich vor ihm fürchtet und sich gegen ihn wehrt, das Widerstreben und die Angst lassen uns nur ein armselig verkümmertes Restchen Leben übrig, das man kaum noch Leben nennen kann. Es klingt fast paradox: Wenn man den Tod aus seinem Leben verdrängt, ist das Leben niemals vollständig..." (S. 125f.)

Die größte Kunst des Lebens sei es, wenn der Mensch trotz seines Leidens in seiner Seele eine kleine Ecke, die voll und unverletzt bleibt, retten kann. Das ist für Etty das wichtigste. Deshalb habe es keinen Sinn, sich zu verstecken, wegzulaufen; denn niemand wird physisch gerettet werden. Vielmehr sieht Etty Hillesum ihre Aufgabe darin, mit ihren Brüdern und Schwestern zu gehen und zu versuchen, den Menschen zu helfen.

Selbstlosigkeit und Menschlichkeit

Der Wunsch weiterzuleben resultiert für Etty Hillesum aus ihrem Ziel, anderen zu helfen, ihnen die wunderschönen, menschlichen Gefühle zu schenken, die sie sich selbst bewahren kann, das ‚Licht’ und die ‚Liebe’, wie sie formuliert. Das Tagebuch bezeugt die optimistische Erwartung wundervoller Zeiten für ihr Volk und die Menschen: Die Schreiberin glaubt, dass für die Menschheit noch menschliche Zeiten kommen werden, und für diese Zeit möchte sie am Leben bleiben; denn dann könnte sie für die neue Gesellschaft, die aufgebaut werden würde, hilfreich sein. Über ihre Visionen führt sie in ihrem Tagebuch einen Dialog mit Gott:

"Wie groß ist doch die innere Not deiner Geschöpfe auf dieser Erde, mein Gott. Ich danke dir, dass du soviele Menschen mit ihren inneren Nöten zu mir kommen läßt [...]. Ich danke dir, dass du mir die Gabe verliehen hast, in anderen Menschen lesen zu können. [...] ich verspreche dir, daß ich in so vielen Häusern wie möglich Wohnung und Unterkunft für dich suchen werde. [...] Gott, gib mir Ruhe und laß mich alles `bewältigen´. Es ist so viel."

Diese selbstlose Liebe, der Wunsch, anderen Menschen in Zeiten der Not zu helfen, bildet für Etty das zentrale Lebensziel und Ideal ihrer Weltanschauung. Sowohl in Amsterdam wie auch in Westerbork fand sie immer wieder die Kraft, andere zu stützen, Hilfe und Trost zu geben. Dabei war ihr wichtig, das eigene Leid und den eigenen Kummer nicht mitzuteilen. Sie wollte keine Bürde für andere sein, sondern eine Stütze.

Im Gebet für andere sieht sie ihr Lebensziel – und im Geschenk der Liebe: Keiner egoistischen Liebe, sondern einer selbstlosen Liebe, die anderen das Leben erleichtern kann.

Trotz dieser universellen Liebe, zu der Etty sich bekennt, sehnt sie sich gleichwohl nach romantischer Liebe und Beziehung zu Männern – ein Thema, das einen wichtigen Teil ihrer Aufzeichnungen einnimmt, und zugleich einen faszinierenden Einblick in Hillesums Denken über die Definition und Stellung der Frau in der modernen Gesellschaft bietet.

Die Bedeutung der Liebe zwischen Frau und Mann 

Etty Hillesum beschäftigt sich nicht nur mit der universellen Beziehungen und Liebe zu Gott und den Menschen, sondern sie setzt sich auch detailliert mit ihrem Selbstverständnis als Frau und ihrem Verhältnis zu Männern auseinander.

Ihre intensive Liebesbeziehung mit ihrem Freund Spier und mit anderen spielt sich dabei auf einer eigenen Ebene ab, die losgelöst ist von den äußeren Gegebenheiten und historischen Ereignissen. Die dramatischen Ereignisse ringsherum berühren nicht ihre Beziehungen mit Männern, speziell mit ‚S’, das heißt Julius Spier. Etty, die eine Veröffentlichung ihrer Erinnerungen vorgesehen hatte, ver­schweigt dennoch intime Einzelheiten nicht, beschreibt detailliert ihre Nächte mit Spier und anderen Männern; sie versteckt nichts, aber ihre Beschreibung wirkt sensibel, einfühlsam und berührend.

Mit klaren Vorstellungen vom ‚Frausein’ überprüft Etty Hillesum Begriffe wie ‚Begierde’, ‚Weiblichkeit’, platonische Beziehungen zu Männern und die Emanzipation der Frau:

„Vielleicht muß die echte, die wirkliche Emanzipation der Frau erst noch beginnen”, schreibt sie:

„Wir sind noch keine richtigen Menschen, wir sind Weibchen. Wir sind noch ge­­fesselt und umstrickt von jahrhundertealten Traditionen. Als Menschen müs­­sen wir noch geboren werden, hier wartet noch eine große Aufgabe auf die Frau.“

Als Hillesum anfing, sich mit ihrer Identität auseinanderzusetzen, definierte sie sich als Frau primär durch ihre körperlichen Begierden und Bedürfnisse, und kam zur Schlussfolgerung, dass sie sich zuerst von ihren femininen Eigenschaften lösen müsse, um ein spiritueller und damit vollwertiger Mensch zu werden. Spiritualität und die Erschließung der menschlichen Seele wurden von ihr als höchstes Gut angesehen, auf das sie ihr ganzes Streben konzentrierte. Erst im Laufe ihrer Tagebucheinträge kam Etty zur Erkenntnis, dass das Feminine nicht nur exklusiv mit dem Körper verbunden ist, sondern ebenso stark mit der Seele und dem Geist. Sie begann damit im Rahmen ihrer spirituellen Selbstentdeckung eine außergewöhnliche Philosophie der Weiblichkeit und Emanzipation zu formulieren, die sie ausführlich mit Julius Spier diskutierte:

"Und ich erklärte ihm [Spier] noch einmal, daß ich glaube, daß dies die historische Aufgabe der Frau für die Zukunft sein wird: den Mann durch ihre weibliche Seele zu seiner eigenen zu geleiten. Nichts von der Erotik und Körperlichkeit zwischen Mann und Frau muß dabei verloren gehen. Aber alles muß nach seiner Richtigkeit eingeordnet werden. Und ich glaube auch, dass die wichtigsten und bahnbrechensten Männer der Zukunft jene sein werden, die eine starke feminine Seite in sich tragen – und dennoch wirkliche Männer sind, wie z.B. er [Spier] oder Rilke. Diese Männer werden, wie sol ich das ausdrücken, Wegweiser im Bereich der Seele sein. Und eben nicht diese „he-men“ (rein männlichen Männer), diese Führer und Helden in Uniform, die als „echte Männer“ bezeichnet werden.

Jedoch, vielleicht existieren `wirkliche Männer´ sowieso nur im Kopf der Frauen."

An diesem Punkt kam sie zur Erkenntnis, dass Frauen mehr ganzheitliche Wesen sind als Männer. Als sie für sich klarlegte, was es bedeutet eine Frau zu sein, begann sie sich selber als Teil eines größeren Ganzen zu sehen, das sowohl in dieser Welt, als auch jenseits davon lag. Aus diesem persönlichen Prozess der Spiritualisierung zog Hillesum die Kraft und Energie, die sie an andere weitergeben wollte.

Die Frage nach ihrer Selbstdefinition und Identität als Frau war stark mit Zweifeln verknüpft, ob eine Frau ihre Liebe ein Leben lang auf einen Mann beschrän­ken solle oder ob es nicht vielmehr erstrebenswert ist, die Menschheit allgemein zu lieben.

Schritt für Schritt mit der Entwicklung des Tage­buchs kommt sie zu der Auffassung, dass die universelle Liebe zu den Menschen der Liebe zu einem einzelnen Mann vorzuziehen sei. Daraus resultiert ihr Verzicht auf eine Heirat im konventionellen Sinne; eine tradi­tionelle Ehe behindere sie in ihrem Sein und beschränke die Liebe, die sie allen Menschen geben möchte. Mit der Zeit entwickelt Etty ein Konzept von Liebe und Vertrauen, nach dem die Liebe zur Menschheit und zu Gott ebenso wie ihre Mission der Hilfe, der Stütze und des Trostes für die Menschen durch die Konzentration der Liebe auf einen einzelnen Menschen gestört werden könne; und schließlich gelangt sie zu der Auffassung, dass körperliche Liebe und Anziehung, im Vergleich zu der echten, reinen und emotionalen Liebe niederrangig ist und die Möglichkeit in sich trage, Schaden zu stiften.

Die reine Liebe richtet sich an die Menschen allgemein, aber auch an Gott, der in Ettys Tagebuch eine wichtige Rolle spielt.

Glauben

Die innere Kraft, die Realität zu akzeptieren, wie sie ist, schöpft Etty aus ihrem Glauben an eine Macht, die sie Gott nennt. Mit dieser Macht führt sie in ihrem Tagebuch einen Dialog. Sie spricht mit Gott. Gott gibt ihrem Leben Sinn. Jeder muss seinen Gott in seinem Herzen entdecken, glaubt sie. Und das Wesen dieses Gottes in uns ist das einzige, was von Bedeutung ist.

Die Liebe zu Gott ist total, ist erfüllend und ist die einzige Liebe, die einen Wert hat im Leben. Und so sehen wir, dass die innerliche Ruhe und sogar Freu­de, die Etty in schweren und grausamen Zeiten entwickelt, in einem in­neren Frieden mit Gott begründet liegt.

Nicht etwa Erwartungen an Gott werden im Tagebuch artikuliert, etwa die Hoffnung oder gar der Wunsch nach Rettung. Durch diese Erwartungs­losigkeit bleibt Ettys jüdische Identität von den äußeren Ereignissen unberührt; ihr Glaube leidet nicht, weil sie Gott nicht anklagt.

Im Gegensatz zu anderen Juden, die die Shoah erlebt haben – religiös oder nicht religiös –, und die ihrem Gott geradezu zürnten, der nicht geholfen habe, obwohl er das Leiden seines Volkes von oben sah, akzeptiert Etty Gottes ‚Verhalten’ und erbittet von ihm keine Erklärung. Im Gegenteil, sie räumt ihm das Recht auf eine Erklärung von uns, den Menschen, ein:

"Ich will dir helfen, Gott, daß du mich nicht verläßt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und da­durch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen. Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können, sie gehören nun mal zu diesem Leben. Ich fordere keine Rechenschaft von dir, du wirst uns später zur Rechenschaft ziehen. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen."

Etty Hillesums Dialog mit Gott intensiviert sich, während sie in Westerbork ist. Als sie sich bereits körperlich leidend fühlt, bittet sie Gott, er möge sie gesund machen, damit sie weiterhin anderen helfen kann. Sie ist dankbar, dass Gott ihr Menschen schickt, die es noch schwerer haben als sie. Sie möchte den Menschen helfen, seelisch helfen, und sie ist dankbar für die Begabung zu dieser seelischen Hilfe. Sie verspricht Gott, sein Tempel zu werden, und ist überzeugt, dass Gott in ihr existiert. Dieser Gott in ihr ist der tiefste Teil ihres Selbst, der anderen zuhören und Gott in anderen Menschen wahrnehmen kann. Diese Fähigkeit nennt sie „Von Gott zu Gott”.

Die Möglichkeit und Begabung, anderen zu helfen, macht sie innerlich so zufrieden, dass sie das Leben in Westerbork liebt und es, als sie das Lager für kur­­ze Zeiten verlassen muss, geradezu vermisst. Ihr Leben im Lager Wester­bork sei ein schönes Geschenk von Gott, so schreibt sie.

Jeder, der das Leben in den Konzentrationslagern kennt – aus eigenem Er­leben oder aus Zeugenberichten –, kann über diese Aussage nur erstaunt sein. Die innere Welt der Etty Hillesum ist zweifellos eine höchst seltene, beson­dere. Nur wenige Menschen gelangten zu einem solchen inneren Frieden; nur eine außergewöhnliche Persönlichkeit konnte in der Zeit der Shoah überhaupt und im Lager Westerbork insbesondere noch Gefühle von Glück und Zufrie­denheit empfinden.

Die Auseinandersetzung mit dem Bösen

Die historische Realität spielt nur eine untergeordnete Rolle in Etty Hillesums Tagebuch. Aus Etty Hillesums Sicht verbessern oder verschlechtern die historischen Um­stände das Leben nicht. Sie werden als Dekoration für das wirkliche Le­ben, das sich auf geistiger und psychischer Ebene abspielt, begriffen. Gleich­zeitig muss aber betont werden, dass die Verfasserin nicht wirklichkeitsfremd ist. Ihr ist bewusst, was in den Straßen geschieht, aber diese Realität bringt sie nicht von ihrem Weg ab. Ihr Lebensgefühl ist nicht abhängig von den äußeren Ereignissen: Die Verzweiflung der Menschen, das vielfache menschliche Leid, die Verfolgung und die Unterdrückung, die Willkür, der ohnmächtige Hass und der Sadismus sind ihr bekannt; trotzdem schreibt sie:

"Ich weiß das alles und behalte jedes Stückchen Wirklichkeit im Auge, das zu mir dringt. Und dennoch – in einem unbewachten, mir selbst überlassenen Augenblick liege ich auf einmal an der nackten Brust des Lebens, und seine Arme legen sich weich und beschützend um mich."

Und ferner heisst es:

"Ich verschließe mich nicht vor all dem Leiden um mich, ich stumpfe nicht dagegen ab. Ich ertrage alles und bewahre alles in mir auf, aber ich gehe un­beirrbar meinen Weg weiter."

Gerade die geringe Verbindung der Tagebuchnotate zur Realität unterscheidet Ettys Aufzeichnungen von anderen in dieser Zeit entstandenen Tagebüchern.

Einen weiterer bedeutenderer Unterschied ist ihre Auffassung, sich dem Unabänderlichen fügen zu müssen, das aufzunehmen was geschieht, und sich mit dem Schicksal abzufinden. Für Etty gelten Machtlosigkeit und Hilflosigkeit auf der Basis der Realität nicht als Schande; das Sich-Abfinden ist für sie kein Zeichen von Kapitulation oder Unterwerfung, sondern sie begreift die Akzeptanz des Schicksals als Sieg und als Zeichen einer inneren seelischen Kraft:

"Für mich bedeutet Ergebung nicht Resignation oder Entsagung, sondern den Versuch, nach besten Kräften dort zu helfen, wo Gott mich zufällig hinstellt."

Demgegenüber sind Versuche aktiv zielstrebigen Eingreifens in die Realität für sie ein Hinweis auf einen moralischen Tiefstand des Menschen.

Etty Hillesum begreift den Menschen nicht als Herrn seines Schicksals; nur seine Einstellung gegenüber seinem Schicksal ist dem Mensch aufgegeben: „[...] wie man sich innerlich zu diesem Schicksal stellt, das kann der Mensch selbst bestimmen.”

Auf die Situation während der Shoah bezogen, bedeutet dies, dass die Juden nichts gegen die Verfolgungen unternehmen können, ein Umstand, den Etty nicht als tragisch empfindet. Sie wünscht und hofft, dass die Juden sich inner­lich gegen diese Verfolgungen immunisieren. Wenn ihnen das gelingt, ver­lieren die Verfolgungen ihre Bedeutung; sie können, wenn von den Verfolgten eine innere Macht und Stärke entwickelt wird, die Juden weder erniedrigen noch sie unterdrücken:

"Entscheidend ist letzten Endes, wie man das Leiden, das in diesem Leben eine wesentliche Rolle spielt, trägt und erträgt und innerlich verarbeitet und daß man einen Teil seiner Seele unverletzt über alles hinwegrettet."

Man solle auf einen Kampf mit der schweren Realität, der nur in einer Nieder­lage enden kann, verzichten und statt dessen den wahren und wichtigen Kampf im Innern des Selbst führen, um daraus Stärke und Kraft zu ziehen. Aus diesem inneren Kampf könne jeder Mensch mit guter Vorbereitung, auch wenn er in der realen Welt geschlagen sei, als Sieger hervorgehen.

Damit verkehrt Etty Hillesum die Begriffe Passivität und Schicksalsergebenheit, die bei vielen Autorinnen und Autoren negativ besetzt sind, ins Positive. Mehr noch: Die Hilflosigkeit in der Shoah oder in jeder anderen Kata­strophe ist eine erwünschte Situation, die einen hohen geistigen Wert besitzt.

Die Menschen, die versuchen, in einer armseligen Fieberhaftigkeit gegen ihr Schicksal anzukämpfen und die übermächtige Realität zu ändern, entwickeln eine hässliche Seite ihres Charakters, entwickeln Hass und Bösartigkeit, die Be­reitschaft, alles zu tun und sogar ihre Seele zu verderben, um jede Chance der äußeren Rettung zu nutzen. Die Tagebuchschreiberin spottet derer, die bereit sind zu töten und getötet zu werden, um sich selbst zu retten.

Diese Betrachtung und Auseinandersetzung mit der Machtlosigkeit in der Shoah weicht von allen anderen Tagebüchern aus dieser Zeit ab; sie ist singu­lär. Auffällig ist, dass in anderen Tagebüchern die Verfasser mit der Zeit auf­grund der schlechten Lebensbedingungen immer schwächer, enttäuscht und pessimistisch werden, während das Tagebuch Etty Hillesums durchaus erken­nen lässt, dass ihr seelischer Zustand stärker und stärker wird. Man kann nachgerade sagen, dass die Verfolgungen der Juden – aus Ettys Sicht – ihre moralische und seelische Entwicklung beschleunigen.

Nur die inneren Kräfte und speziell die Verbindung mit Gott, die Etty ent­wickelt, ermöglichen ihr, mit ihrer Hilflosigkeit gegenüber der Welt fertig zu werden. Wenn du den Gott der Liebe in dir selber findest, so denkt sie, ist die äußere Welt nicht wahrnehmbar, du kannst sie draußen lassen.

Ein weiterer Aspekt, der sich in diesen Texten immer wiederholt, ist der Entschluss, nie enttäuscht zu sein, in der Zeit der Shoah für Juden ein hero­ischer Entschluß. Eine Kapitulation vor der Enttäuschung sieht Etty jedoch als Verrat an Gott. Obwohl Enttäuschung menschlich ist, glaubt sie, dass man zumindest versuchen müsse, durch innere Stärke die Enttäuschung zu ver­meiden oder zu überwinden.

Ein dritter Aspekt, der eng verknüpft ist mit Ettys Verständnis der inneren Kraft, ist die Möglichkeit des Menschen, auf jede Abhängigkeit von Materiel­lem zu verzichten. Die Mehrheit der Juden, die sich damals in den Ghettos und den Lagern befanden, hat sich mit der Frage des Überlebens, der Über­le­benschancen beschäftigt. Etty sind diese Überlegungen fremd. Denn das gei­sti­ge und seelische Überleben hält sie für wichtiger als die physische Rettung.

Verändern muss der Mensch dazu jedoch seine Einstellung gegenüber dem physischen Körper. Nicht dessen Erhalt, sondern die Rettung der Seele steht an erster Stelle. Es sei unwürdig, nur den Körper zu sehen und die Seele zu ver­gessen. Das Ziel ist vielmehr, dass die Seele weiter existieren und ihre Pflich­­ten weiter wahrnehmen kann. Der Mensch muss versuchen, sich vom Körperlichen zu lösen. Man muss den Körper lehren, sich mit dem Minimum zufrieden zu geben, selbst in Zeiten von Hunger und Entbehrung. Es geht – laut Etty – darum, zu unterscheiden zwischen den wichtigen Dingen im Leben und den Nebensächlichkeiten.

Zwar muss man unter Umständen sogar auf wertvolle Dinge verzichten, aber selbst das rechtfertigt keine Verzweiflung, wie sie am Beispiel des Verzichts auf ihr Fahrrad begreift, das für die Amsterdamer Juden ein unentbehrliches Ver­kehrsmittel war.

Die Konzentration der Menschen auf ihre kleine Welt, ihre Selbstzu­friedenheit, vermerkt das Tagebuch sehr kritisch. Diese Kritik gilt auch den Mitgliedern des jüdischen Volkes. Allerdings ist in Ettys Texten Zurückhaltung in ihrer Kritik unverkennbar. Sie versteht das Verhalten der Juden als ein Resultat der deutschen Unterdrücker, die die schlechten Seiten der mensch­lichen Seele zu Tage bringen. Trotzdem spart sie nicht an Kritik, speziell am Verhalten des Judenrates, für dessen Tun sie keine Rechtfertigung zu finden weiss. Sie beschreibt, wieviel sie über die Natur des Menschen jeden Tag in ihrem kleinen Büro im Judenrat lernt und wie auch unter so schweren Bedingungen die Menschen sich nicht von den Belanglosigkeiten des Alltags lösen können. Doch im Gegensatz zu anderen bekannten Tagebüchern und Chroniken, die eine sehr scharfe Kritik der Judenräte und speziell der jüdi­schen Polizei formulieren, bleibt Etty Hillesum versöhnlicher und nachsichtig angesichts der Versehrung, die die Deutschen der Seele dieser Menschen zugefügt haben. Sie beobachtet nicht nur das Verhalten, sondern erkennt auch die Gründe dafür.

Sehr kritisch beurteilt sie die Beteiligung der Judenräte an der Erstellung der Deportationslisten. Obschon sie Gründe und Ursachen für das Verhalten der Judenräte analysiert und nachzuvollziehen versucht, betrachtet sie diese Be­teili­gung als unverzeihlich. Hier ist sie überzeugt, dass die Geschichte die Beteiligten zur Rechenschaft ziehen wird. Darin stimmt sie mit anderen Kritikern überein, obwohl sie betont, dass es sich um eine kleine kollabo­rierende Minderheit handelt.

Auch wenn sich Etty scheinbar nur wenig an den faktischen Ereignissen orientiert, ist ihre Prognose für das holländische Judentum speziell und das europäische Judentum allgemein von bestürzender Genauigkeit und geradezu prophetisch – unglaublich, wenn man in Betracht zieht, dass die ‚Prophetin’ eine Frau ohne Informationsquellen oder Informationsmöglichkeiten ist:

"Wir dürfen uns keine großen Illusionen machen. Das Leben wird sehr schwer werden. Wir werden getrennt werden, wir alle, die wir einander teuer sind.

Ich weiß, was uns noch erwarten kann. Ich bin jetzt von meinen Eltern getrennt und kann sie nicht erreichen, auch wenn sie nur eine zweistündige Reise von mir entfernt sind. [...] ich weiß, dass eine Zeit kommt, in der ich nicht wissen werde, wo sie sind, nur daß sie deportiert wurden und elend umkommen werden. Ich weiß, daß es so kommen wird. Nach den letzten Nachrichten sollen alle Juden aus Holland deportiert werden, über Drenthe nach Polen. Und der englische Sender berichtete, daß seit dem vergangenen Jahr 700.000 Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten umgekommen sind. Und falls wir am Leben bleiben, sind das ebenso viele Wunden, an denen wir unser ganzes Leben lang tragen müssen."

Sie sagt voraus, dass kein Jude überleben werde und dass die Deutschen sich entschieden hätten, alle Juden, ohne Ausnahme, zu vernichten:

„Natürlich, es ist die vollständige Vernichtung! Aber laßt sie uns doch mit Würde ertragen.”

Dass Etty Hillesum als eine von Wenigen den Plan der Vernichtung aller Juden bereits im Jahre 1942 erkannte, ist kaum erklärbar. Darüber hinaus begriff Etty – wiederum im Gegensatz zu vielen anderen –, dass niemand den Juden helfen würde. Die Juden, so schreibt sie, sollen sich keine Illusionen machen, dass jemand sie von außerhalb zu retten versuchen werde:

"Ich glaube, dass man alle Hoffnungen auf die Außenwelt aufgeben muß, dass man keine Rechenexempel über die Zeitdauer anstellen darf."

Etty Hillesum erkennt, was um sie herum geschieht, deutlicher als viele ihrer Zeitgenossen. Doch entsprechend ihrer Weltanschauung versucht sie nicht, einen aus ihrer Sicht aussichtslosen Kampf zu führen; sie sucht vielmehr nach der mystischen und philosophischen Bedeutung des Schreckens und der Todes­angst, die sie ringsherum erlebt und wahrnimmt. Sie sucht die wirkliche Bedeutung des Lebens, seine Essenz. Das ist eine Bedeutung,  die sich vorzüg­lich in Zeiten des Leidens erschließt. Sie prüft die Situation der menschlichen Seele in Zeiten von Katastrophen und Unglück, die Möglichkeit des Men­schen, in Zeiten höchster Not seine innere Stabilität zu bewahren, seine innere Harmonie, die Reinheit der Seele und die Möglichkeiten, einen wachen, klaren Verstand zu behalten.

Schreiben als Widerstand

Zu einer Zeit als der zweite Weltkrieg unerbittlich wütete und Millionen von Menschen grausam ermordet wurden, führte Etty Hillesum einen nicht minder unerbittlichen Kampf auf dem Papier. Sie schrieb ihr Tagebuch mit dem Ziel, grössere Selbsterkenntnis zu erlangen, und in der Hoffnung, ihre physischen und psychischen Leiden hierdurch überwinden zu können. Ihre Tagebücher reflektieren einen Prozess inneren Wachstums, wobei die Perfektion ihres Selbst für sie Raum schaffte, um sich anderen zuzuwenden und ihnen helfen zu können.

Für Etty Hillesum war Schreiben ein Akt des Widerstands, und dies in mehr als nur der buchstäblichen Bedeutung des Wortes. In einer Zeit nie dagewesenen Antisemitismus´, in der die Nazis darauf aus waren jeden letzten Juden in der Welt zu vernichten, gelang es ihr, eine Selbsterneuerung zu vollziehen. Sie brachte es fertig ihre Depressionen zu bewältigen und ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. In einer Zeit, da die Nazi-Ideologie die Juden als Untermenschen degradierte, strebte sie die Verbreitung einer neuen Ethik und Menschenliebe an. Während die Nazis alles daran setzten, jegliche Anomalie oder Abweichung von der Norm auszulöschen, entwickelte Etty Hillesum eine Lebensphilosophie, die „den Anderen“ (oder Andersartigkeit) nicht als minderwertig, sondern in seiner vollen Schönheit und Vollkommenheit sah. Sie behauptete sich dabei, ganz im Gegensatz zum Zeitgeist der Zerstörung und des Todes, mit einer konsequent lebensbejahende Weltanschauung.

Das Tagebuch bot Etty Hillesum eine Möglichkeit, ihrem Leben, das Gefahr lief bedeutunglos zu werden, einen neuen Sinn zu geben. Im Rahmen der zunehmenden Verfolgung, Unterdrückung und Isolation, verblieb der Akt des Schreibens für sie als einziger Weg das „Hier und Jetzt“ lebenswert zu gestalten. Schreiben war in diesem Zusammenhang zugleich Überlebensmechanismus und eine Form von Widerstand.

Etty Hillesums Tagebuch war ein Mittel zur individuellen Selbstverwirklichung und unterwanderte somit das Streben der Nazis nach absoluter Kontrolle und Vernichtung von Andersdenkenden (und Andersseienden). Sie war keine Widerstandskämpferin im üblichen Sinne, jedoch war sie in ihrem Streben umso leidenschaftlicher und konsequenter. Es ging ihr um nichts weniger als um die Rettung der Menschheit, und sie bestritt diesen Kampf mit dem Stift statt mit dem Schwert.

Schlusswort

Allein die Lektüre von Etty Hillesums Tagebüchern weckt Sympathie. Die sensible Selbstdarstellung, ihre moralische Stärke, ihre innere Gradlinigkeit und Aufrichtigkeit und ihre seelische Reife sind auf jeder Seite ihres Tagebuches spürbar. Zugleich ist die Lektüre der Tagebücher eine immer erneute Schule des Schreckens angesichts der Ermordung dieser Frau, die uns in ihren Texten so lebendig entgegentritt.

Der Tatsache, dass eine Frau wie Etty Hillesum mit Zyklon B umgebracht und ihre Asche in den Fluß Wisla geschüttet wurde, ist schrecklich und unvorstellbar. Unser Leben wäre reicher und besser, wenn Etty noch lebte. Doch sie hat uns mit ihren Tagebüchern gleichsam einen großen und wertvollen Schatz hinterlassen.

Die Art, in der Etty Hillesum die Verfolgung, die Erniedrigung, den Mord der Deutschen an den Juden betrachtet, kann als moralischer Sieg dieser Jüdin über ihre Verfolger gesehen werden. Ihre Seele haben sie nicht ver­letzen können, ihre menschlichen Werte nicht vernichtet, ihre Würde als Mensch und als Jüdin und ihren Glauben an die Menschen – das konnten die Deutschen ihr nicht nehmen. Fast, wenn die Trauer es nicht verhindern würde, dürfte man sagen: Etty Hillesum ist als Siegerin in die Gaskammer gegangen, sie hat den Sieg davongetragen.

Ihr Tagebuch schildert den Sieg des Guten über das Böse, einen Sieg ohne Waffen, basierend auf innerer Stärke und Überzeugung und auf dem Glauben an das Gute, das absolut Gute, das sogar die Nationalsozialisten nicht ausrotten konnten, obwohl sie sich sehr bemüht hatten. Gerade vor dem düsteren Hintergrund der Epoche sind Weltanschauung und Lebens­philosophie von Etty Hillesum ein Lichtblick. Das macht ihre Tagebücher zu einem unvergleichbaren Dokument für jeden – ob jüdisch oder nicht jüdisch, religiös oder säkular, jung oder alt.

In einem ihrer letzten Briefe, die sie aus Westerbork geschickt hat, schreibt Etty:

"Ich werde mir immer stärker bewusst, daß in mir ein Stoff vorhanden ist, oder wie immer ich das nennen soll, der ein eigenes Leben führt und aus dem ich Dinge gestalten kann. Aus diesem Stoff kann ich vielerlei Leben erschaffen, die alle aus mir gespeist werden."

Leider konnte Ettys Wunsch nicht in Erfüllung gehen. 

 

Zitate nach:

Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941 - 1943; herausgegeben von J.G. Gaarlandt; Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1985

 

Literatur:

Das Tagebuch der Anne Frank. 14. Juni 1942 - 1. August 1944. Schneider. Heidelberg 1950.

Hillesum, Etty (1983): Etty, a diary 1941-1943. London.

Hillesum, Etty (1986): Letters from Westerbork. New York.

Hillesum, Etty (2000): Przerwane zycie. Pamietnik 1941-1943. Krakow.

Hillesum, Etty (1978): Twee brieven uit Westerbork. Utrecht.

Hillesum, Etty (1982): Het verstoorde leven. Dagboek van Etty Hillesum, 1941-1943. Haarlem.


[1] Vortrag, gehalten am 31.1.2003 in Köln auf Einladung des Psychotherapeutischen Arbeitskreises für Opfer des Holocaust (PAK) sowie der Melanchthon-Akademie, Köln.

 

© Copyright der Texte: Dr. Gideon Greif

Webseitengestaltung: Rudolf Süsske
www.text-galerie.de

frame
Text|Galerie

Gideon Greif: Nachforschungen zu individuellen Auseinandersetzungen mit dem Holocaust

Übersicht


top